Biographie · Idas Regal der ausgelesenen Bücher

Rezension | Yeonmi Park: Mut zur Freiheit

„Als ich aus Nordkorea flüchtete, träumte ich nicht von der Freiheit. Ich wusste nicht einmal, was es bedeutete, frei zu sein. Ich wusste nur, dass wir sterben würden – an Hunger, an einer Krankheit oder den unmenschlichen Bedingungen in den Arbeitslagern –, wenn meine Familie in Nordkorea blieb.“

Yeonmi Park | Mut zur Freiheit | S. 16f.

Es begann alles damit, dass ich im Mai dieses Jahres eine Dokumentation über Nordkorea sah, die mich wachrüttelte und dazu bewog, mich näher mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und prompt griff ich in der Buchhandlung, in der ich arbeite, nach einer Biographie, von der ich in dem Moment noch gar nicht wusste, dass sie mir emotional alles abverlangen würde.

Ich habe geweint, ich habe gehofft und ich war erschüttert, angewidert und entsetzt über das, worüber Yeonmi Park in ihrer Biographie ‚Mut zur Freiheit‘ schrieb. Es ist zugleich Biographie und damit Geschichte einer starken und außergewöhnlich tapferen jungen Frau und Bericht über die Zustände in Nordkorea. Es ist ein Zeugnis über ein Leben in Nordkorea, das alles andere als menschwürdig ist, über die unvorstellbaren Qualen und Entbehrungen, die eine Flucht aus diesem Land mit sich bringt. Denn Yeonmi Park ist eine junge Frau, jünger noch als ich es bin, die einer Diktatur zu entfliehen versucht, die dem Hungerstod näher kam als man es sich vorstellen kann und die ein Grauen erlebt hat, das niemand verdient hat und heute für eine bessere Welt kämpft. Die sich ihre Bildung hart erarbeitet hat und ihre Kraft heute dafür einsetzt, um anderen zu helfen, die sich in derselben Situation befinden, wie sie damals: eingesperrt in einem Land und seinen Konventionen.

„Während meiner Odyssee habe ich mit eigenen Augen gesehen, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind, ich habe aber auch Akte der Nächstenliebe und der Aufopferung erlebt und zwar dort, wo ich es am wenigsten für möglich gehalten hätte. Ich weiß, dass uns ein Teil unserer Menschlichkeit abhandenkommen kann, wenn wir ums blanke Überleben kämpfen. Aber ich weiß auch, dass der Funke menschlicher Würde niemals ganz erlischt und wieder aufflackert, sobald man ihm den Sauerstoff der Freiheit und die Kraft der Liebe zuführt.“
Yeonmi Park | Mut zur Freiheit | S. 20

24 Kapitel lang bangt man mit einer Jugendlichen, die man gar nicht kennt, um ihr Leben. Man fühlt sich, als wäre man in einem schlechten Film gefangen, aus dem es kein Ausweg zu geben scheint. Über all die Grausamkeiten und all die Ungerechtigkeit zu lesen, die einem Menschen angetan werden können, hat mich an meine emotionalen Grenzen gebracht. Ich bin in einem Land aufgewachsen, in dem es normal ist, seine Meinung zu sagen. Ich bin Teil einer Kultur, die bestimmte Lebensstandards hat und die Liebe, Wohlbefinden und Glück neben Bildung, sozialer Gerechtigkeit als Tugenden ansieht, die für jeden Menschen als ganz selbstverständlich gelten sollten und erstrebenswert sind. Und dann zu lesen, dass es auf dieser Welt Menschen gibt, die von klein auf nicht einmal wissen, was es heißt, tiefe Freude zu empfinden, und zwar nicht, weil es einem Regime nützt, sondern einem selber, das allein war für mich wie ein Schlag ins Gesicht.

„Ich hatte keine Ahnung, was ein ‚Hobby‘ sein sollte. Als man mir erklärte, es sei etwas, das mich glücklich machte, wusste ich überhaupt nicht, was das sein mochte. Mein einziges Ziel war doch immer gewesen, das Regime glücklich zu machen.“
Yeonmi Park | Mut zur Freiheit | S. 254

Yeonmi Park3

Und dann liest man von wiederholten Vergewaltigungen, Menschenhandel, Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um aus einem Land zu fliehen, dass sie in den Tod treibt und von solchen, die diese Situation ausnutzen – und das hat mir das Herz gebrochen. Yeonmi Park nutzt ihre Stimme, um das Unrecht aufzuzeigen, das kein Imagefilm des nordkoreanischen Regimes wieder geradebiegen kann. Trotz Morddrohungen erhebt sie ihre Stimme und setzt sich für all die ein, die noch nicht einmal wissen, was Freiheit ist.

„Auf den Straßen riefen so viele verzweifelte Menschen um Hilfe, dass man sein Herz verschließen musste, um den Schmerz zu ertragen. Nach einer Weile kann man einfach nicht mehr. So muss die Hölle sein.“
Yeonmi Park | Mut zur Freiheit | S. 74

Dieses Buch gehört meiner Meinung nach in jedes Bücherregal. Der Schreibstil fühlt sich an, als befände man sich in einem intensiven Gespräch mit der Autorin, und die eingefügten Fotos, die Yeonmi Park und ihre Familie abbilden, haben noch dazu beigetragen, dass mir jegliche Distanz zu den Menschen in diesem Buch genommen wurde – es war nicht länger nur eine Geschichte, es war echt und nah und ließ mich nicht mehr los. Die meiste Zeit saß ich mit vor Erschütterung offenem Mund oder kopfschüttelnd vor dem Buch, aber eigentlich hatte ich immerzu Tränen in den Augen. Und ich bin so wahnsinnig stolz, wie weit Yeonmi Park es gebracht hat und bewundere ihren Mut und Lebenswillen.


Unten eingefügt findet ihr eine Videoaufzeichnung von Yeonmi Parks Rede im Jahr 2014 auf dem One Young World Summit in Dublin, zu dem 1300 Vertreter von insgesamt 194 Ländern dazu eingeladen waren, gemeinsam über die zu der Zeit wichtigsten und dringendsten Probleme der Welt zu diskutieren.

“When I was crossing the Gobi desert, scared of dying, I thought nobody in this world cared. It seemed that only the stars were with me. But you have listened to my story. You have cared. Thank you very much.” – Yeonmi Park


Autor:   Yeonmi Park
Titel:     Mut zur Freiheit. Meine Flucht aus Nordkorea
Verlag:  Goldmann Verlag
Jahr:      2015
Seiten:    319
[Genre:  Biographie]

 

11 thoughts on “Rezension | Yeonmi Park: Mut zur Freiheit

  1. Liebe Ida,
    das Buch ist nun direkt auf die Wunschliste gesetzt worden. Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr dich das Buch mitgenommen hat. Solche Geschichten zu lesen geht mir auch immer sehr nah. Wenn man dann noch weiß, dass sie der Realität entstammen und sich die Zustände immer noch nicht gebessert haben, fehlen einem wirklich die Worte 😦
    Ich finde auch, dass man solchen Büchern viel mehr Aufmerksamkeit schenken sollte. Von daher: Vielen Dank!
    Alles Liebe,
    Janika

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    1. Liebe Janika,

      darüber freue ich mich so sehr! Ich finde auch, dass dieses Buch und diese Thematik viel mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte – das hast du echt schön gesagt. Besonders deshalb, weil sich die Situation kaum verändert hat und immer noch so viele Menschen unter diesen grausamen Zuständen leiden müssen. Ich konnte danach eine Weile nicht schlafen, weil es mich so mitgenommen hat – und dann fragt man sich natürlich, was man dagegen unternehmen kann. Also habe ich das geringste gemacht, was man tun kann: dem Buch ein bisschen Aufmerksamkeit gegeben – und es ist so schön, dass es jetzt auf deiner Wunschliste steht ❤

      Liebste Grüße,
      Ida

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      1. Liebe Ida, ich habe mich gerade auch noch weiter mit dem Thema beschäftigt und zwei Bücher bestellt. Das ist jetzt nicht dabei, aber dafür eine andere Biografie und noch ein Sachbuch, das von einer Ostasien Korrespondentin geschrieben wurde. Bin gespannt 😊

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  2. Liebe Ida,
    es ist wunderbar, wie Du das Buch beschreibst! Und es macht auch mich sehr sehr neugierig darauf, wenn ich auch schon 70 Jahre alt bin. 😊
    Ich werde es lesen. Danke für diesen Buchtipp.
    Herzlichst Hummel 🐝

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