12 Klassiker im Jahr · 2020 · Idas Leseprojekte

12 Klassiker für 2020 | #3 | Goethe – Faust

Dieses Jahr geht das Klassikerprojekt in die 3. Runde! Wie in den Jahren zuvor lese ich jeden Monat einen Klassiker, den ich zuvor dem entsprechenden Monat zugeordnet habe. Insgesamt zwölf Klassiker stehen auf der Liste des Klassikerprojekts 2020, bei einigen handelt es sich dieses Jahr um deutschsprachige Übersetzungen. Diese Bücher, die sich schon seit geraumer Zeit auf meinem Bücherregal befinden, wurden im Laufe der Zeit aus verschiedenen Gründen als ‚Klassiker‘ bezeichnet und variieren unter anderem besonders in der Länge, dem Veröffentlichungsjahr, dem Genre und natürlich dem gesellschaftlichen/politischen/sozialen Kontext.

Der März-Klassiker zählt zu der Sorte von Klassikern, die die meisten Schüler für ihr Abitur pauken und bis ins kleinste Detail analysieren müssen. Allerdings gibt es auch hier hin und wieder einmal eine Ausnahme, denn weder während meines Abiturs noch während meines Germanistik-Studiums hatte ich mit dem berühmt berüchtigten Faust von Johann Wolfgang von Goethe zu tun. Dafür habe ich das im März nachgeholt, ein kleines bisschen zu meinem Leidwesen, wie ich gestehen muss. Im Folgenden also mein Eindruck zur Tragödie aus dem Jahr 1808.

Faust_02

J O H A N N    W O L F G A N G    V O N    G O E T H E    –    F A U S T

FAUST: Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor.

Johann Wolfgang von Goethe | Faust: Der Tragödie Erster Teil | S. 13 (Vers 358f)

Johann Wolfgang von Goethes Tragödie “Faust” ist in die zwei Bestandteile “Der Tragödie Erster Teil” und “Der Tragödie Zweiter Teil” aufgegliedert. Letzteres verfasste Goethe ganze zwanzig Jahre nach dem ersten Teil von “Faust”, und hat mich fast in den Wahnsinn getrieben, weshalb ich hier auch nur auf den ersten Teil der Tragödie eingehen werde. Den zweiten Teil habe ich mehrfach begonnen, dann überflogen und letztendlich frustriert in die stille Ecke verbannt. Werfen wir nun also einen Blick auf den ersten Teil dieses bedeutsamen deutschen Klassikers.

I n h a l t

Der wissensdurstige Gelehrte Heinrich Faust ist unzufrieden: obwohl er so viel Zeit mit dem Studium verschiedenster Wissenschaften verbracht hat, fühlt er sich seinem Ziel so weit entfernt wie nur irgend möglich. Er will noch tiefergehende Erkenntnisse, die ihm  bis jetzt verborgen blieben, er will auf seine alten Tage Aufregung und Abwechslung – und lässt sich auf einen Handel mit dem Teufel Mephistopheles ein. Im Austausch gegen seine Seele soll ihn der Teufel mit Zerstreuungen, Liebeleien und Wissen versorgen. Schon in kürzester Zeit gelingt es Mephisto, den Gelehrten Faust äußerst fragwürdige Entscheidungen treffen zu lassen. Unter anderem sorgt Faust dafür, dass eine gesamte Familie in den Ruin gestürzt wird, und für den Gelehrten entstehen daraus keinerlei Konsequenzen.

 D a s    W e r k    u n d    s e i n    K o n t e x t

In Versform folgt man also Faust und Mephisto auf ihrem Weg zu Fausts moralischem Verderben (zumindest ist es das, was Mephisto anstrebt), stößt auf Hexen, die Jugendtränke brauen und auf unschuldige Mädchen, die in Versuchung geführt werden. Die Tragödie spiegelt sowohl sprachlich als auch inhaltlich historische Gegebenheiten wider. Historische Grundlage für den Gelehrten Faust ist tatsächlich ein gewisser Johann Georg Faust, der in vielen verschiedenen Bereichen mitmischte, unter anderem der Wahrsagerei, der Astrologie, Alchemie und Wunderheilung. Bei vielen war er als Betrüger verschrien, und Gerüchten zufolge starb er bei einer Explosion, als er versuchte, Gold herzustellen.

Die literarische Version von Faust aus Goethes Feder ist, ganz streng genommen, weder ein Held noch ein Bösewicht. Der Gelehrte ist weder durch und durch gut noch vollkommen böse. Er ist irgendwie menschlich, und nicht so vollständig verdorben, wie Mephisto es eigentlich von einem Menschen erwartet hatte. Spannend ist, dass Mephisto oft als dunkler Teil von Fausts Seele interpretiert wird – fast wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde aus dem englischen Sprachraum. Apropos Sprache: Goethe hat mit seinen Knittelversen und Marginalversen dafür gesorgt, dass das damals gängige Mundartliche in der Tragödie zur Geltung kommt. Sprich: die Dialoge zwischen den einzelnen Protagonisten wirken lebensecht und auf ihren gesellschaftlichen Stand angepasst (bis auf die Reime; ich weigere mich zu glauben, dass irgendjemand freiwillig jemals so gesprochen hat!).

K l a s s i k e r p o t e n z i a l

Allein die Tatsache, dass “Faust” unzählige Interpretationsmöglichkeiten bietet, verleiht dem Werk schon ein mächtiges Klassikerpotenzial. Psychoanalytische Deutungen? Religiöse Ansätze? Dialektische Interpretation im Sinne von Gegensätzen wie Gut und Böse, Himmel und Hölle, Verantwortung und Freiheitsliebe? All diese Deutungsansätze werden möglich, da Goethe in “Faust” einen ganzen Haufen an Themen und Motiven verwendet, alle vor dem Hintergrund der politischen Gegebenheiten zur Zeit der Veröffentlichung des Werkes. Daher ist es sicherlich auch ein bevorzugtes Werk zur Analyse bei Abiturprüfungen – da kann man richtig viel abfragen.

Ich verstehe den analytischen Reiz hinter dem Werk und kann durchaus auch einsehen, dass der erste Teil von “Faust” gerade deshalb Generationen von Lesern faszinierte, weil sich immer wieder neue Deutungsmöglichkeiten ergeben. Doch als reine unterhaltende Lektüre hat mich diese Tragödie so gar nicht von sich überzeugen können. Du meine Güte, die meiste Zeit dachte ich, ich sei zu dumm für diesen Klassiker, weil ich viele Passagen und Sprünge entweder nicht nachvollziehen konnte oder schlicht nicht verstanden habe. Erzählerisch hat es mich leider ebenfalls nicht mitgerissen, wie ich es durchaus schon bei manch anderem Klassiker erlebt habe. Bei meinen Recherchen nach dem Lesen stieß ich gerade bei Zusammenfassungen des Werkes auf Stellen, die dieses oder jenes als Handlungspunkt angaben, von dem ich trotz aufmerksamen und teilweise wiederholten Lesens nichts im Text entdecken konnte. Da frage ich mich, wie oft muss ich einen Text lesen, bis er für mich zum verständlichen Klassiker wird? Oder ist er gerade deshalb ein Klassiker, weil ihn nur ausgewählte Leser verstehen?

Hinzu kommen die drei (!) Vorworte vor der eigentlichen Handlung, die einmal Goethes Gedanken zeigen, dann einen Einblick in eine Theater-Besprechung der Tragödie wagen und zu guter Letzt einen Blick in den Himmel werfen, wo Gott und Mephisto eine Wette abschließen. So ganz ohne Kontext hat mich das ziemlich verwirrt, und erst dank ein paar Nachforschungen wurde mir dann der Rahmen ersichtlich, wodurch das Stück allerdings auch nicht an Spannung gewann. Der Gelehrte Faust blieb mir fremd und unsympathisch, und auch die anderen Figuren des Stücks blieben mir bis zum Schluss hin trauriger Weise gleichgültig.

Ich habe von Goethe schon einige wunderschöne Gedichte gelesen, doch ausgerechnet sein bekanntestes Werk ”Faust” war für mich besonders eines: anstrengend. Der Plot konnte mich nicht wirklich begeistern, und die Umsetzung war einfach nicht meines. Ein alternder, privilegierter Herr will seinem drögen Alltag ein Ende setzen und verkauft dafür seine Seele an einen dahergelaufenen Pudel, verliebt sich in eine 14-Jährige und dann erwartet den Leser ein nicht wirklich zufriedenstellendes, offenes Ende. Schade, aber der “Faust” und ich – wir werden einfach keine Freunde.



Angaben zum März-Klassiker:
Autor:
       Johann Wolfgang von Goethe
Titel:         Faust [Der Tragödie Erster Teil]
Verlag:      Reclam Verlag
Jahr der Veröffentlichung:  1808 (diese Ausgabe: 2000)
Seiten:       136
Genre:     [Klassiker | Tragödie | Gelehrtentragödie]



Ü b e r s i c h t    d e r    1 2    K l a s s i k e r    i m    J a h r    2 0 2 0 :

Januar:            Heinrich Heine – Deutschland. Ein Wintermärchen (1844)
Februar:          Ernest Hemingway – Schnee auf dem Kilimandscharo (1961)
März:               Johann Wolfgang von Goethe – Faust (1808)
April:               Jane Austen – Anne Elliot (1818)
Mai:                 Stefan Zweig – Ungeduld des Herzens (1939)
Juni:                 F. Scott Fitzgerald – Zärtlich ist die Nacht (1934)
Juli:                  Siegfried Lenz – Die Klangprobe (1990)
August:           Rudyard Kipling – Das Dschungelbuch (1894)
September:    Emily Brontë – Sturmhöhe (1847)
Oktober:         Truman Capote – Kaltblütig (1965)
November:     Friedrich Schiller – Die Räuber (1781)
Dezember:      Walt Whitman –  Grashalme (1855) (abgebrochen)

8 thoughts on “12 Klassiker für 2020 | #3 | Goethe – Faust

  1. Meine liebste, arme, Faust-gebeutelte Ida ♥
    Ich ahnte es bereits, aber ich habe mich tatsächlich sehr amüsiert über deine Zusammenfassung des unliebsamen Fausts. Besonders bei deiner Einschätzung “vielleicht zu dumm für dieses Werk” zu sein – ich habe genau dasselbe zu Schulzeiten gefühlt und fürchte, ich würde ihn auch heute noch nicht wirklich verstehen. Mal von abgesehen, dass mir Reimungen sowieso immer irgendwie abgehen, wenn sie nicht in kurzer Gedichtsform daher kommen. Aber nur Mut, du hast noch einige bessere Klassiker auf deiner Liste für dieses Jahr stehen =) ♥

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    1. Meine allerliebste Gabriela! ❤
      Das hat mich jetzt sehr beruhigt, tausend Dank! :'D Kannst du dir vorstellen, dass ich ganz zittrig vor Ungeduld geworden bin, als ich den zweiten Teil von Faust gelesen habe? Ach du meine Güte, das war nicht zum Aushalten. Irgendwann hat Thomas damit gedroht, das Buch zu konfiszieren, wenn ich nicht bald aufhöre lauthals ärgerliche Kommentare durch die Gegend zu tröten. :D:D
      Auf jeden Fall freue ich mich jetzt sehr auf Anne Elliot – und damit hätte ich vor Faust eigentlich gar nicht gerechnet. 🙂 ❤

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      1. 😀 Ihr tut mir gerade beide tatsächlich gleichsam leid 😀 Umso besser für Anne, vielleicht hilft ja der Faust-Frust zum Austen-Genuss, wer weiß? Ich bin gespannt ♥

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  2. Hallo Ida,

    ich gehöre zu denen, die Faust in der Schule lesen und auseinandernehmen durften und fand es trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb?) richtig toll. 😀 Allerdings hat man dann natürlich auch direkt die Erklärungen und Hintergründe usw. parat bzw. Lehrer*innen versorgen einen direkt damit. Vermutlich fällt es dann tatsächlich leichter?
    Ich sollte Faust vielleicht nochmal lesen, jetzt, wo ich das meiste aus der Schulzeit bereits vergessen habe. 🙂

    Dem zweiten Teil konnte ich aber auch so gar nichts abgewinnen…

    Schöne Grüße
    Alica

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    1. Hallo liebe Alica,

      dann war Faust wenigstens für dich ein schönes Leseerlebnis, das freut mich! :’D Wirklich, mir haben ganz oft diese typischen Erläuterungen und Deutungen SO gefehlt! Das hätte mir echt geholfen, dann wäre wahrscheinlich das Frustlevel auch niedriger gewesen. :’D

      Oder? Der zweite Teil war so… ich weiß nicht, es hatte irgendwie nichts mehr mit dem Faust aus dem ersten Teil zu tun, und da war dann für mich Schluss. 😀

      Liebste Grüße,
      Ida

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