Idas Leseprojekte · Im Rausch der Trilogien

Im Rausch der Trilogien | Die uralte Magie der Chyerti

Herzlich Willkommen zurück im Rausch der Trilogien!

Mensch, ihr wirkt noch ganz durchgefroren vom gestrigen Beitrag von Gabriela zur Leo-Demidow-Trilogie! Hier, ein dicker Schal und eine große Tasse Tee zum Aufwärmen. Glaubt mir, das werdet ihr brauchen. Recht viel wärmer wird es heute nicht, denn wir machen einen erneuten Ausflug ins abgelegene Dorf Lesnaya Zemlya, dort, wo Vasilisa Petrovna aufwuchs und zum ersten Mal Bekanntschaft machte mit den Chyerti. Rückt noch näher ans prasselnde Feuer, und hört, was ich euch über die kleinen Dämonen der Winternacht-Trilogie zu erzählen habe.



 

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D I E    U R A L T E    M A G I E    D E R    C H Y E R T I

He knew what evil lay upon this land. It was in the sun-symbols on the nurse’s apron, in that stupid woman’s terror, in the fey, feral eyes of Pyotr’s elder daughter. The place was infested with demons: the chyerti of the old religion.

Katherine Arden| The Bear and the Nightinale| S. 147

 

In dem kleinen Dorf, in dem Vasya aufwächst, glauben die Menschen genauso an die Chyerti, wie an das, was der christliche Glaube mit sich bringt. Doch je mehr der Priester Konstantin predigt, und sie davon überzeugt, es dürfe keinen Glauben neben dem christlichen geben, verschwinden immer mehr Sonnen-Symbole von den Schürzen der Frauen, kaum einer hinterlässt noch Brotkrumen im Ofen oder besänftigt den Wasser-Dämon mit kleinen Gaben. Alle, bis auf Vasya.

Jetzt fragt ihr euch vielleicht: aber was sind denn nun diese Chyerti? Kann man das essen? (Nein.) Sind sie gefährlich? (Ja und nein – nicht gefährlicher als Menschen es sind.) Chyerti ist eine Sammelbezeichnung für alle möglichen magischen Kreaturen, vom Bannik bis zum Vodianoy. Dazu zählen auch andere Dämonen, die Katherine Arden für ihren Winternacht-Dreiteiler aus russischen Märchen und Legenden übernommen hat.

So zum Beispiel auch der Winterkönig Morozko, dessen Reich das der Kälte und des Schnees ist, und dem nachgesagt wird, er bringe den Tod. Das Märchen vom Winterkönig ist Vasya und ihren Geschwistern wohl bekannt und stammt aus dem großen Fundus der russischen Märchen:

Eine Familie hat zwei Töchter. Die Stiefmutter heckt den Plan aus, ihre Stieftochter loszuwerden und schickt sie hinaus in die Kälte des Winters, um dort als Braut auf den Winterkönig zu warten. Doch das Mädchen ist tugendhaft und tapfer und kehrt mit Schätzen, Gold und in edle Gewänder gekleidet heim. Die Stiefmutter beschließt, nun ihre eigene Tochter in die Wälder zu schicken, und ist überzeugt davon, dass sie mit noch mehr Reichtümern heimkommen wird. Doch diese Tochter ist schlecht erzogen und verärgert Morozko, und wird am darauffolgenden Tag von ihren Eltern erfroren im Schnee gefunden. 

Doch die Chyerti, die Vasya rund um ihr Heimatdorf entdeckt, sind alle ein bisschen unauffälliger als diese unheimliche Figur des Winterkönigs Morozko, auch wenn er in der Trilogie ein wirklich faszinierender Charakter ist.

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D E R    H Ü T E R    D E S    H A U S E S

Stellt euch vor, ihr schlagt die Augen auf und stellt fest, ihr seid mit einem Mal in der Geschichte von Vasya gelandet, steht mitten in dem Haus ihrer Familie. Ihr bahnt euren Weg zur Feuerstelle, an der eure Amme bereits in den frühen Morgenstunden ein Brot gebacken hat. Gebannt schaut ihr in die Ofenöffnung, und erkennt gerade noch, wie sich zwei kleine Hände eine verbrannte Brotkrume schnappen. In der Tat sitzt dort zwischen glühenden Kohlen ein winziges Wesen mit gierigen kleinen schwarzen Äuglein und verzehrt das angekokelte Backwerk. Das ist der Domovoi, der Hüter des Hauses. In der Nacht hilft er dabei, das Geschirr zu waschen und den Dreck vom Vortag wegzukehren – manchmal flickt er sogar liegengelassene Kleidung. Er ist wie ein guter Wichtel, der dabei hilft, das Haus in Schuss zu halten. Er ist recht wortkarg, aber das macht nichts: das sind die meisten Chyerti. Genau wie der Dvorovoi, der Hüter des Hofes, beschützt der Domovoi die Bewohner des Hauses vor Übel.

Besonders liebe ich ja den Bannik. Das ist der kleine Dämon des Badehauses. Auch wenn es vielleicht seltsam ist, dass einen ein kleiner, dicker, glatzköpfiger Dämon durch den Dampf zugrinst, während man bar aller Kleidung vor sich hin schwitzt, ist er doch sehr nützlich: wie auch der Domovoi und der Dvorovoi beschützt er diejenigen, die sich im Badehaus aufhalten. Er ist recht frech und spritzt schon mal mit Aufgusswasser um sich, wenn er besonders aufmüpfig ist. Aber er beschenkt diejenigen, die ihn sehen und hören können, mit seiner weitaus faszinierenderen Gabe: einer Prophezeiung.

“Before the end, you will pluck snowdrops at midwinter, die by your own choosing, and weep for a nightingale.”
Vasya felt cold despite the steam. “Why would I choose to die?”
“It is easy to die,” replied the bannik. “Harder to live.”

The Bear and the Nightingale, S. 207

 

D E R    H Ü T E R    Ü B E R    S T A L L    U N D    V I E H

Aber Chyerti findet man nicht nur im Haus, auf dem Hof oder im Badehaus- nein, auch in den Ställen der Pferde und der anderen Nutztiere finden sich so allerlei magische Wesen. So auch den Vazila, der Hüter über den Pferdestall. Er ist den Pferden im Wesen sehr ähnlich, und was der Vazila empfindet, das empfinden auch die Pferde – und umgekehrt. Er hilft dabei, die Pferde zu füttern und zu striegeln, beruhigt sie in stürmischen Nächten und als Vasya sich mit ihm anfreundet, macht er ihr ein ganz besonderes Geschenk, das ich hier aber nicht verraten möchte. 

 

I N    D E N    W Ä L D E R N    U N D    F L Ü S S E N

Doch halt! Was raschelt dort zwischen den Blättern des Baumes? Ist es etwa eine Rusalka, ein Wassernymphen-ähnlicher Dämon, der mit Vorliebe Menschen ins nasse Grab lockt? Da, seht nur, wie das Wasser aus den langen Haaren der Rusalka fließt und die Erde benetzt, auf der sie wandelt! Und dort, im flachen Wasser – sind das nicht die gierigen Augen des Vodianoy, der den Fischern gern die erbeuteten Fische aus den Körben stiehlt? Wenn er es zu arg treibt, kann es auch dazu kommen, dass er die Menschen, die im kühlen Nass seinen Weg kreuzen, zu seinem Vergnügen ertränkt. Er setzt ihnen in den Kopf, dass es keinen Ausweg gibt aus ihrer Situation, und von Angst gepeinigt gehen sie unter wie schwere Steine.
Lasst euch auch nicht vom Leshy vom Weg abbringen, wenn ihr durch die tiefen Wälder streift. Der Hüter des Waldes führt euch so lange im Kreis herum, bis ihr vor Hunger und Erschöpfung auf den Erdboden sinkt und nie wieder aufsteht.

Doch so furchteinflößend einige der Chyerti auch wirken mögen, eines ist im Umgang mit ihnen besonders wichtig: Respekt und Wertschätzung und eine ordentliche Portion Mut. Schließlich ist es für die Dämonen lebensnotwendig, dass man an sie glaubt, dass man ihnen kleine Gaben hinterlässt und höflich darum bittet, ihr Reich zu durchschreiten. Das ist diese besondere, uralte Magie, die durch Vasyas Welt fließt und mit jedem  neuen Schlag der Kirchenglocken ein bisschen mehr zu verschwinden scheint.

Wenn ihr also das nächste Mal einen Waldspaziergang unternehmt, achtet mal genauer auf das Rascheln im Gebüsch und auf das Plätschern des Waldsees in Ufernähe. Vielleicht ist es nur ein Vogel, der im Laub herumspringt oder ein Fisch, der an die Wasseroberfläche schwimmt. Vielleicht ist es aber auch etwas ganz anderes, etwas, das euch ganz genau beobachtet… 



Morgen müsst ihr euch bei Gabriela ein dickes Fell zulegen. Denn sie wirft im Rahmen der Leo-Demidow-Trilogie einen Blick auf die politischen Umstände des Dreiteilers – und da geht es ans Eingemachte. 



Im Rausch der Trilogien – Das Russland-Special:

13.01.20    Ida:  Katherine Arden – Die Winternacht-Trilogie
14.01.20    Gabriela: Tom Rob Smith – Die Leo-Demidow-Trilogie
15.01.20    Ida:  Die uralte Magie der Chyerti
16.01.20    Gabriela: Im Würgegriff der Revolution
17.01.20    Ida:  Lasst uns ein Spiel spielen…
17.01.20    Gabriela: Russisch Roulette

5 thoughts on “Im Rausch der Trilogien | Die uralte Magie der Chyerti

  1. Oh meine liebe Ida! ❤️
    Da fühle ich mich gleich zurück versetzt in die Magie des alten Russlands! Also wenn dieser Beitrag nicht auch noch den letzten von dieser Trilogie überzeugt, dann weiß ichs auch nich mehr ❤️
    Ich mochte ja immer den Stallgeist am meisten, den hätte ich gern kennengelernt =)

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    1. Liebste Gabriela! ❤
      Am liebsten würde ich ja mit der Trilogie um die Häuser ziehen und sie jedem unter die Nase halten! 😀 Und wenn unser Trilogienrausch dafür sorgt, dass die Winternacht-Trilogie noch mehr Leserherzen erfreuen kann, dann haben wir alles richtig gemacht! 😀 ❤
      Den Stallgeist mochte ich auch sehr! Mit ihm ein paar Takte zu sprechen stelle ich mir echt ganz ulkig vor. :'D

      Liked by 1 person

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